FeldhaseZum Tier des Jahres 2000 hat die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD die Askulapnatter gewählt. Sie will damit auf die Gefährdung dieser Art und aller Reptilien aufmerksam machen, die praktisch, genauso wie Fledermäuse und Spinnen, keine Lobby haben. Es geht darum, die noch weit verbreitete Abneigung gegen „Ekeltiere“ abzubauen. Alle sechs deutschen Schlangenarten stehen in der Roten Liste der gefährdeten Tiere, die Äskulapnatter ebenso wie die Würfelnatter in der höchsten Kategorie „Vom Aussterben bedroht“. Reptilienschutz ist – im Gegensatz zum Schutz der Amphibien – die Seltenheit, wird dazu vom Bundesamt für Naturschutz erklärt.
Es gibt keine Programme zur Erhaltung der Kriechtiere. Notwendig wäre, um die Grundlagen für Schutzmaßnahmen zu verbessern, eine stärkere Erforschung der Populationsökologie der Schlangen. „Zu viele Gefährdungsfaktoren sind unverändert wirksam“, heißt es im Bundesamt. Das betrifft vor allem die landwirtschaftlichen Intensivierungsmaßnahmen. Sie haben eine allgemeine Verschlechterung der Lebensräume zur Folge, weniger Nahrung besonders für Jungtiere sowie immer knapper werdende Eiablageplätze und Überwinterungsquartiere. Weitere gravierende Gefährdungsfaktoren sind Siedlungserweiterungen, die Rekultivierung von Steinbrüchen, Kies- und Tongruben sowie Schuttplätzen. Auch die Aufforstung vegetationsarmer Trockenstandorte gehört dazu. Nicht zuletzt fällt auch die Entnahme aus der Natur ins Gewicht, denn die Äskulapnatter gilt als beliebtes Terrarientier. Und schließlich wird die längste aller deutschen Schlangen oft aus Angst und Unkenntnis getötet. Die Populationsdichte der einheimischen Bestände ist so gering, dass schon der Verlust einiger Tiere durchaus schwerwiegende Folgen für den Gesamtbestand haben kann. Die ungiftige Natter hält sich als klassische Kulturfolgerin oft in der Nähe menschlicher Siedlungen auf. Sie ist im Bereich von Komposthaufen, Heizungskellern, Garagen und Geräteschuppen anzutreffen, und nicht immer geht dieses Zusammentreffen mit dem Menschen für das Tier gut aus.
In Deutschland gibt es vier Natternarten. Es sind neben der Äskulapnatter noch die Würfel-, Schling- und die allgemein bekannte Ringelnatter. Äskulap- und Würfelnatter lieben die warmen Regionen, die Schlingnatter bevorzugt Heiden, Hochmoore, Magerrasen und lichte Wälder. Die Ringelnatter kommt hierzulande noch weithin vor, hat jedoch erhebliche Bestandseinbußen durch Siedlung, Straßenbau und Verschmutzung der Gewässer. Die Äskulapnatter war zu Beginn der nacheiszeitlichen Wärmeperiode, dem Holozän, mit dem Vordringen der Laubmischwälder nach Norden in ganz Mitteleuropa weit verbreitet. Nach einigen Jahrtausenden kam es durch langfristigen Klimawechsel zum Erlöschen der meisten Populationen. Übrig blieben wenige Populationen, in Deutschland gegenwärtig nur noch vier. Es gibt sie im Rheingau-Taunus, etwa in Schlangenbad, weiter im südlichen Odenwald, an der unteren Salzach sowie im Donautal bei Passau. Hier hat das Jahres-Tier 2000 noch sein größtes Vorkommen, nicht zuletzt auch deswegen, weil der Bestand an der Donau entlang über die Grenze nach Österreich sich fortsetzt, bis hin zum Neusiedler See.
Auch in Gestalt und Lebensweise ist die Äskulapnatter ein bemerkenswertes Tier. Elaphe longissima, wie ihr wissenschaftlicher Name lautet, ist die längste deutsche Schlange, sie erreicht bis zu zwei Meter. Sie ist eine hervorragende Kletterin, und wenn sie wegen dieser Fähigkeit auch Jungvögel erbeutet, so besteht ihre Nahrung doch zum weit überwiegenden Teil aus Kleinsäugern, vor allem Mäusen. Sie verzehrt ihre Beute nicht lebend, sondern umschlingt und erdrückt sie nach Art der Riesenschlangen.
Die Äskulapnatter ist das Symboltier der Mediziner. Daher rührt auch ihr Name, der vom griechischen Gott der Heilkunst Asklepios abgeleitet ist. Er soll der Legende nach in Form einer friedvollen Schlange 293 v. Chr. in Rom die Pest bezwungen haben. Deshalb ist das Tier auch heute noch an Apotheken, auf Rezeptblocks und in ärztlichen Publikationen zu sehen, wie es sich um den Äskulapstab ringelt. In der Zoologie gehört die Natter zur Gruppe der Land- und Baumnattern, die ungiftig sind: genauso wie 90 Prozent der 2.700 auf der Erde existierenden Schlangenarten. Besonders geformte Bauchschienen befähigen die Baumnattern zum Klettern.
Durch ihre gelbbraune bis grauschwarze Grundfärbung des Körpers, vor allem aber durch eine Vielzahl weißer Fleckenränder entlang den Flanken- und Rückenschuppen sowie den weißlichen Bauchschienen ist die Äskulapnatter unverwechselbar. Tiervater Brehm schilderte sie einst so: „Ihre Leibesgestalt und ihre Bewegungen haben etwas ungemein Anmutiges. Es ist nichts Rauhes, Ruppiges auf der ganzen Hautfläche. Das Wesen der Schlange entspricht der äußeren Gestalt: Sie ist anziehend in jeder Hinsicht“. In Mauerlöchern und alten hohlen Eichen, wie sie heute immer seltener zu finden sind, haust sie – so Brehm – friedlich zusammen mit Hornissen. „An einer Wand klettert sie mit fast unbegreiflicher Fertigkeit empor, da ihr jeder, auch der geringste Vorsprung zu einer genügenden Stütze wird“. Was kann geschehen, um den geringen Bestand der hochgefährdeten Natter zu erhalten? „Schutzmaßnahmen sind dringend erforderlich“, sagt Dr. Michael Waitzmann von der Arbeitsgemeinschaft Äskulapnatter, der als bester Kenner dieser Tierart gilt. Dazu gehören
die Ausweisung von Schutzgebieten in den Kernzonen der einzelnen Verbreitungsgebiete nach bayerischem Vorbild
Aufrechterhaltung einer extensiven Nutzung in traditionellen Kulturlandschafts – Biotopen wie Wiesen, Streuobstwiesen und Weinbergen als Frühjahrs- und Sommerlebensräumen der Natter
Erhaltung und Pflege naturnaher Laubmischwälder und strukturreicher Waldrandsysteme als potenzielle Überwinterungsquartiere sowie Spätsommerhabitate
Erhaltung und Pflege von Bahndämmen, Straßen- und Wegrändern als Ausbreitungsachsen bzw. Verbundsysteme zwischen verschiedenen Teilpopulationen innerhalb des Gesamtareals
nicht zuletzt regionale Informations- und Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit über die Schutzwürdigkeit dieser Tierart.
Für 2000, das Jahr der Äskulapnatter, ist eine Reihe von Aktionen in Vorbereitung. So plant die Arbeitsgemeinschaft konkrete Schutzmaßnahmen wie die Ausweisung von Schutzgebieten, etwa im hessischen Ulfenbachtal, auch die Neuanlage von Eiablagemöglichkeiten, die Instandsetzung von Trockenmauern und Aufklärung in der breiten Öffentlichkeit. Dies soll durch Publikationen über die Äskulapnatter geschehen – etwa der SCHUTZGEMEINSCHAFT -, aber auch durch Fotoausstellungen, Film und Fernsehen sowie Videos. Ein gutes Beispiel ist das Video der Reihe NATUR ERLEBEN „Der kurze Sommer der Äskulapnatter“ von Hans-Jürgen Zimmermann vom Natur-Film- und Fernsehstudio. All dies geschieht, um das Reptil in Deutschland zu bewahren und seine Existenz auch in der Zukunft zu sichern: die Äskulapnatter, die von allen sechs deutschen Schlangenarten am stärksten gefährdetste, das Tier des Jahres 2000.